Bremsspuren und Strom geben

Ein hektischer Jahresendspurt war vor allem geprägt durch die Debatten rund um die Strompreisbremse. Was als befristeter Markteingriff begann, könnte sich 2023 zu einer dauerhaften Reform der Energiemärkte auswachsen. Ein energiepolitischer Rück- und Ausblick zum Jahreswechsel. 

Ganz Berlin hat sich im letzten Jahresquartal intensiv mit den Energiepreisbremsen auseinandergesetzt. Einerseits sollten die hohen Zusatzgewinne der Stromerzeuger von staatlicher Seite eingezogen werden, andererseits sollten mit den Instrumenten die erwarteten flächendeckenden und massiven Preiserhöhungen für Strom, Gas und Wärme abgemildert werden. Ganz Berlin? Ja, wirklich ganz Berlin, bei diesen Debatten konnten auch wir kein kleines Gallisches Dorf bilden, da die Regelungen sowohl auf der Abschöpfungs- als auch auf der Preisentlastungsseite direkt unser Kerngeschäft betreffen. So haben wir intensiv in den Debatten mitgewirkt – leider ohne Zaubertrank. Denn gerade unser Hauptanliegen, nämlich dass wir durch einen Konstruktionsfehler in dem sehr komplexen Abschöpfungsmechanismus nicht mehr unsere selbst produzierten Strommengen für die Belieferung unserer Kund:innen nutzen können, ist leider bis zum Ende nicht behoben worden. Oliver hat die Hintergründe vor der Gesetzesverabschiedung in dem Fachmedium Tagesspiegel Background verständlich zusammengefasst: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/oekostrom-direktlieferungen-muessen-auch-2023-moeglich-sein.

Verabschiedung Energiepreisbremsen vor Weihnachten

Leider hat auch das neben unseren sonstigen Gesprächen dazu nichts an dem Punkt geändert, das ganze Preisbremsen-Paket wurde kurz vor Weihnachten final beschlossen. Damit wurden in nicht einmal drei Monaten die tiefgreifendsten Eingriffe in den Energiemarkt seit dem Bestehen der Bundesrepublik umgesetzt. Insgesamt ist das ganze Werk für die Kürze der Zeit doch relativ gut gelungen, wenn wir eben auch in dem für uns entscheidenden Punkt bei der Abschöpfung andere Vorstellungen hatten und wir uns auch bei der Entlastung ein paar Details anders gewünscht hätten. Jetzt müssen die Beschlüsse also umgesetzt werden – wie die Preisbremsen grundsätzlich funktionieren und wie wir das speziell bei naturstrom angehen, haben wir versucht im Blog zusammenzufassen. Die Umsetzung bedeutet natürlich noch erhebliche Arbeit für eine Vielzahl von Kolleg:innen von den EWD über den Stromhandel bis zu den Betreibergesellschaften. Und nicht zu vergessen das KUSC, die eben jetzt praktisch als Auskunftsdienst der Bundesregierung fungieren, da der Staat die Entlastungen nicht selbst organisieren konnte und an die Energieversorger ausgelagert hat. Für diese Zusatzaufwände schon einmal herzlichen Dank!

Ausblick 2023: Verstetigung Erlösabschöpfung?

Eigentlich waren diese nun in einem Kraftakt über die Bühne gebrachten Neuregelungen lediglich als kurzfristige und nur temporär geltende Gegenmaßnahmen zur Energiepreiskrise gedacht. Die Abschöpfung der hohen Erzeugungspreise und damit -erlöse könnte allerdings auch zu einer dauerhaften Regelung ausgebaut werden und so grundlegend die Preisbildung im Strom-Großhandel verändern. Zumindest wird auf europäischer Ebene geplant, aus den Erfahrungen mit der jetzigen Regulierung eine dauerhafte Umgestaltung der Strommärkte zu entwickeln. Ein erstes Positionspapier soll im März kommen, erste Gerüchte besagen eben, dass es eine dauerhafte Erlösabschöpfung für Stromerzeuger geben könnte. Hier wäre allerdings erstens zu klären, ob das „nur“ ein dauerhaftes Netz ist, das bei sehr hohen Energiepreisen aktiviert wird oder ob es wirklich einen kontinuierlichen Eingriff in den bislang stabil funktionierenden Markt geben soll. Zweitens wäre zu klären, in welche Richtung die Marktumgestaltung denn konkret gehen soll, da die einzelnen europäischen Staaten den aktuellen Notfalleingriff doch sehr unterschiedlich umgesetzt haben – in Deutschland ist es wieder mal am kompliziertesten.😉 Für eine Dauerlösung müsste ein solch grundlegender Markteingriff doch stärker europäisch vereinheitlich werden, insbesondere da die bislang noch teilweise abgegrenzten Energiemärkte genau wie die einzelnen Staaten ja immer weiter zusammenwachsen sollen. Im März wissen wir hier mehr…

Marktreform-Debatten auch in Deutschland

Aber nicht nur in Brüssel bzw. Straßburg wird 2023 intensiv über die Zukunft unserer Energiemärkte gesprochen werden, auch in Deutschland soll nun endlich die schon lang angekündigte Marktdesign-Debatte im Rahmen der „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ gestartet werden. Eine Auftaktsitzung wird es wohl spätestens im Februar geben. Hier sollen neben Marktänderungen für den Fall hoher Energiepreise, etwa durch die Umstellung der Erneuerbaren-Förderung auf so genannte Contracts for Difference (CfD), auch grundsätzliche Lösungen zu den Rahmenbedingungen des Energiesystems gefunden werden. Denn ein stark dezentral bzw. erneuerbar geprägtes Versorgungssystem kann eben nicht mehr mit den Regularien der bisherigen Zentralversorgung funktionieren. Nur einige Fragen, die sich stellen: Wie EE-Strom gespeichert bzw. wie wird Strom bei wenig Wind und Sonne erzeugt, und wie können Investitionen in entsprechende Technologien angereizt werden? Wie können Strom- und Wärmesystem besser zusammengedacht werden? Wie werden Netzentgelte energiewendedienlicher gestaltet? Wie wird die Refinanzierung des dringend nötigen Erneuerbaren-Ausbaus bei der zu erwartenden Preiskannibalisierung durch große installierte Kapazitäten abgesichert? Viele Fragen also, über die hoffentlich gefundenen Antworten halte ich euch gerne auf dem Laufenden.

Viele weitere Energiewende-Stellschrauben werden angegangen

Neben dem Großthema Energiemarktdesign stehen 2023 aber auch viele kleinere, jedoch nicht weniger entscheidende Punkte an. Schon Anfang Januar wurden Gesetze zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende im Kabinett verabschiedet und werden jetzt im Parlament diskutiert. Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium will noch im ersten Quartal jeweils eine Solar- und eine Windstrategie veröffentlichen und damit weiter bestehende Hemmnisse bei diesen Technologien abräumen. Dazu gehört unter anderem eine grundlegende Entrümpelung des Planungs- und Genehmigungsrechts in Deutschland. Ein neues Energieeffizienz- genau wie die Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes werden in den kommenden Monaten erwartet. Und natürlich steht noch das übergreifende Klimaschutzsofortprogramm aus, was vor allem an den bislang unzureichenden Inputs aus dem Verkehrsministerium liegt. Von EU-Ebene, wo der umfassende Fit-for-55-Prozess abgeschlossen werden soll, ganz zu schweigen. Langweilig wird es also weiterhin nicht… 😊

Ansprechperson: Sven Kirrmann

Keine Kommentare

Einen Kommentar erstellen