Strompreisabschöpfungen und Versorgungssicherheit

Aktuell bewegen vor allem generelle Energiemarkt-Themen die Politik, daher geht es in diesem Bericht aus Berlin ausnahmsweise mal nicht um konkrete Regelungen für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, sondern um allgemeinere Themen. Diese sind zwar eher kurzfristiger Natur, bestimmen den kommenden Winter und die politische Debatte aber stark. Ich will mich dabei insbesondere mit den Vorschlägen zu einer Strompreisbremse und dem Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber – woraus dann die Reservehaltung der Atomkraftwerke resultierte – auseinandersetzen.

Puh, was für ein Jahr. Und dabei haben wir erst September … (Wer mag, kann sich hier gerne das entsprechende Tim-und-Struppi-Meme dazudenken.) Im letzten Newsletter habe ich noch von den Vorbereitungen zum Oster- und Sommerpaket berichtet, die dann auch Anfang Juli verabschiedet wurden und die die größten Energiewende-Reformen seit mindestens zehn Jahren bedeuten – und die jetzt, zwei Monate später, fast schon wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurden. Details zu diesen wirklich wichtigen Weichenstellungen für die Erneuerbaren habe ich in den letzten zwei Newsletter-Ausgaben thematisiert und auch an verschiedenen Stellen im Unternehmen bereits vorgestellt sowie im Blog besprochen. Die finalen Beschlüsse unterschieden sich nur in einigen Details von den besprochenen Entwürfen, wer hier noch Fragen hat, kann sich gerne melden.

Aktuell geht es im zuständigen Ministerium und im Bundestag aber leider nur noch untergeordnet um die Frage, wie der Erneuerbaren-Ausbau noch weiter beschleunigt werden kann. Das ist nicht nur aus Klimaschutzsicht unverständlich, sondern auch, weil mehr Erneuerbare uns ja eben unabhängiger von fossilen Energieimporten, also den Ursachen für die aktuellen Energiekrisenursachen, machen könnten. Aber angesichts der in den letzten Wochen noch weiter explodierten Energiepreise und ernsthafter Bedrohungen für die Versorgungssicherheit mit Strom und Gas in diesem Winter ist die Konzentration auf die Lösung dieser sehr drängenden kurzfristigen Probleme natürlich nachvollziehbar, und leider sind auch in einem Bundesministerium Aufmerksamkeits- und Zeitressourcen einfach begrenzt.

Abschöpfung von Strompreiserlösen und Entlastungen für Verbraucher:innen

Die enorm gestiegenen Energiepreise im Großhandel, die ja noch längst nicht in voller Auswirkung bei den Haushalten angekommen sind, stellen eine ernsthafte Bedrohung gerade für Menschen mit wenig Einkommen bzw. Vermögen dar. Hier sind Entlastungsmaßnahmen unbedingt erforderlich, dafür stehen wir auch als naturstrom ein. Erste entsprechende Pakete und Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht, wie etwa das im September über die Lohnabrechnung erhaltene einmalige Energiegeld. Solche Instrumente müssen aber natürlich gegenfinanziert werden. Und da bestehen durch einen Koalitionspartner leider enge Grenzen, da weder neue Schulden aufgenommen noch Steuern eingeführt bzw. erhöht werden sollen. Daher rückten die sehr hohen Strombörsenpreise und die damit verbundenen hohen Erlöse in dem Sektor in den Fokus. An sich ist ja auch richtig, dass die teilweise absurden Preisniveaus und Gewinnspannen beim Stromhandel abgeschöpft werden sollen, allerdings hätte man das auch über Steuern machen können.

Die Bundesregierung und auch die EU wollen diese Erlösabschöpfung allerdings direkt beim Verkauf von Strommengen erreichen: Die Einnahmen der meisten Stromerzeuger sollen über einem Niveau von 180 Euro pro Megawattstunde abgegriffen und dann für Entlastungen genutzt werden. Ausgenommen sind Gas- und Steinkohlekraftwerke als Spitzenlasterzeuger, ohne welche Gefahren für die Versorgungssicherheit bestehen würden. Das Ganze soll bereits am 1.12. starten und zunächst bis 31.3.2023 befristet sein. Das Vorgehen gilt für alle Arten des Stromhandels, also nicht nur die Börsenpreise, sondern auch PPA, Futures, etc. Gut ist zwar, dass damit nicht prinzipiell in die Merit Order und damit das Funktionieren des Marktes eingegriffen wird – das Ganze ist also kein neues Marktdesign, wie verschiedentlich behauptet wird, sondern „nur“ eine Gewinnabschöpfung der handelnden Akteure. Trotz dieses an sich nachvollziehbaren Ansatzes ergeben sich bei der konkreten Umsetzung aber noch eine Vielzahl von Fragen, die nur schwerlich in den nächsten zwei Monaten geklärt und gesetzlich umgesetzt werden können. Nur als kurzer Ausschnitt: Ist Regelenergie auch betroffen? Wie umgehen mit Biogasanlagen, die deutlich höhere Erzeugungskosten als die 180 €/MWh haben bzw. die gerade von der flexiblen Stromeinspeisung in Hochpreisphasen gelebt haben? Was passiert mit Ökostrom-PPA, die als strukturiertes Produkt aufgrund hoher Ausgleichsenergiepreise schon heute über der Grenze liegen und die dann eigentlich ein Verlustgeschäft sind? Werden nur Erzeuger belangt oder auch Margen im Handel? Welche Terminkontrakte werden einbezogen, die mit Abschluss oder Lieferung in dem Zeitraum? Ihr seht, das kurzfristige Umkrempeln des jahrelang gewachsenen Strommarkts ist ein hochkomplexes Unterfangen. Eine steuerliche Abschöpfung wäre wohl einfacher gewesen, aber naja …

Genauso administrativ anspruchsvoll droht die Auszahlung der eingenommenen Mittel zu werden. Die Europäische Kommission stellt den Mitgliedsstaaten dafür eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung, die Ampelkoalition hat sich aber schon Anfang September auf vergünstigte Strompreise geeinigt. Allen Haushalten und auch kleinen sowie mittleren Betrieben soll ein Grundkontingent an Strom zu einem vergünstigten Strompreis zur Verfügung gestellt werden. Auch hier stellen sich wieder eine ganze Reihe von noch völlig ungeklärten Umsetzungsfragen: Wie hoch soll dieses Basiskontingent sein, an was bemisst es sich? Konterkariert das nicht die notwendigen Einsparbemühungen? Soll es eine Differenzierung nach Haushaltstypen geben und wenn ja, woher weiß der Versorger, welche Haushaltsgröße beliefert wird? Werden Wärmepumpen und Elektroautos berücksichtigt? Wie werden die Mehrkosten für diese vergünstigten Mengen erstattet und welche Strompreise werden dafür zu Grunde gelegt? Was macht solch ein (teilweiser) „Einheitstarif“ mit dem Wettbewerb auf dem Strommarkt? Und aus unserer eigenen Perspektive: Was passiert mit dem GSL-Fördercent? Auch das ist also wieder ein Instrument mit erheblichen potenziellen Fallstricken, das nun in sehr kurzer Zeit umgesetzt werden soll – der Start ist für spätestens Anfang 2023 angekündigt. Entlastungen sind zwar unbedingt nötig, wären aber beispielsweise mit pauschalen Zahlungen, gerne noch gestaffelt nach Haushaltseinkommen, sehr viel einfacher und zielgerichteter möglich.

Von Umsetzungsfragen abgesehen richten sich die Maßnahmen bisher nur auf den Stromsektor – das eigentliche Hauptproblem, nämlich die hohen Gaspreise, wird bislang gar nicht adressiert. Zwar war auf EU-Ebene auch ein Höchstpreis für Gasimporte im Gespräch (was gegebenenfalls auch noch nachgeliefert werden soll), in den ersten Gesetzgebungsvorschlägen war der aber noch nicht enthalten. Und auch in Deutschland ist bislang nur eine Kommission eingerichtet worden, die finanzielle Maßnahmen bei der Gasversorgung vorschlagen soll – konkrete Vorschläge sind hier noch offen.

Ein Stresstest und ein halber Streckbetrieb

Das zweite Thema, das in den letzten Wochen die energiepolitischen Schlagzeilen bestimmt hat, war der Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber zur Stromversorgung und die damit verbundene Entscheidung über den möglichen Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland. Nicht nur im Gassystem gibt es durch ausbleibende russische Lieferungen nämlich gerade Knappheiten, sondern auch die Stromerzeugung in Europa hat deutlich weniger Reserven als üblich. Das liegt nicht zuletzt an Schäden und Wartungsauszeiten bei mehr als der Hälfte der französischen AKW, weshalb der bislang größte Stromexporteur Europas massiv Energie aus anderen Ländern nachgefragt hat. Aber auch die lange Dürre hat durch geringe Wasserstände in Flüssen und Stauseen und damit verringerter Wasserkraft-Leistung sowie eingeschränkten Transportmöglichkeiten für Steinkohle-Schiffe einen Einfluss. Und nicht zuletzt ist natürlich auch die Stromerzeugung aus Gas durch teure und knappe Brennstoffe keine gute Option. Um vor dieser herausfordernden Gemengelage im Winter auf alle Eventualitäten gerüstet zu sein, haben die Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag des Wirtschaftsministeriums einen zweiten Stresstest gerechnet, der gegenüber einer ersten Durchführung im Frühjahr noch einmal deutlich verschärfte Parameter vorsah. Ergebnis ist grundlegend, dass die Stromversorgung selbst unter den angenommenen sehr ungünstigen Bedingungen sicher ist, zumindest was die produzierten Strommengen angeht. Allerdings könnte es sein, dass der Strom nicht am richtigen Ort produziert wird, da Netzengpässe die Durchleitung nicht zulassen. Und solche Fälle könnten im Winter tatsächlich in einigen Situationen auftreten, sofern sich der angenommene Problemmix aus wenig Kraftwerksleistung in Frankreich, wenig Gas, schlechten Wetterverhältnissen und hohen Lasten (auch durch mehr Heizlüfter in den Haushalten) materialisiert. Gerade im Süden Deutschlands würde dann Kraftwerksleistung fehlen. Daher hat Wirtschaftsminister Habeck entschieden, die bisherige Atomausstiegsvereinbarung zwar prinzipiell unangetastet zu lassen (das heißt, die AKW sollen wie geplant zum Jahresende aus dem Markt gehen), die beiden süddeutschen Meiler aber in einen „Reservezustand“ zu überführen. Wenn sich die reale Lage absehbar in Richtung der im Stresstest angenommenen Zustände entwickeln sollte, könnten die AKW dann wieder hochgefahren werden (bzw. direkt im Januar weiterbetrieben werden) und bis maximal Ende März aus den vorhandenen Brennelementen Strom erzeugen. Dabei geht es nicht um ein punktuelles Hoch- und Runterfahren, sondern eine Betriebsdauer von eben einigen Wochen für den Fall, dass es ohne die Mailer nicht geht. Eine Neubeschaffung von Brennstäben (die tendenziell aus Russland kommen würden) oder gar ein Neubau von AKW, der ohnehin sehr lange dauern würde, schließt Habeck aus.

Mit dieser Entscheidung waren die wenigsten zufrieden, die Opposition und auch die FDP fordern eine klare Laufzeitverlängerung über mehrere Jahre ­– auch mit neuen Brennstäben. Ich selbst konnte die Variante anfangs auch nicht ganz nachvollziehen und hätte mir zunächst eine klarere Entscheidung gewünscht. Nach ein paar Tagen Nachdenken finde ich die Lösung aber eigentlich ganz klug: Die ursprüngliche Atomausstiegsvereinbarung wird eingehalten, es gibt in jedem Fall nicht mehr Müll und ein ja durchaus auch sicherheitsrelevanter Weiterbetrieb wird im Normalfall vermieden. Lediglich für absehbare (und sehr unwahrscheinliche) Notfälle kommen die AKW noch einmal zum Einsatz, was bei einer ernsthaften Bedrohung der Stromversorgung anders auch kaum verargumentierbar gewesen wäre, aber eben auch weiterhin nur zeitlich und auf zwei von drei Meiler begrenzt.

Wie seht ihr das? Gerne könnt ihr mir zu diesem Thema und zu allen anderen energiepolitischen Debatten eure Einschätzungen in den Kommentaren melden.

 

Ansprechperson: Sven Kirrmann

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