Klimaschutz unterm Hammer – das Bundesverfassungsgericht macht Druck

Nein, Klimaschutz wurde in den letzten Wochen nicht in einem Auktionshaus an dunkle Gestalten verschachert, auch wenn man sich das bei der politischen Zaghaftigkeit, mit der die erforderlichen Maßnahmen angegangen wurde, manchmal durchaus hätte vorstellen können. Der Titel bezieht sich allerdings auf eine ganz andere hammerschwingende Zunft, nämlich die Gerichte, die in Deutschland und weltweit zu einem immer stärkeren Faktor beim Klimaschutz werden und auf juristischem Wege endlich das durchsetzen, was von Regierungen und Unternehmen längst hätte in Angriff genommen werden sollen.

Gleich zwei wegweisende Urteile sind hier zuletzt zu verzeichnen: Einmal hat ein niederländisches Gericht den Fossilkonzern Shell zur erheblichen Reduzierung seiner Emissionen verpflichtet (45 Prozent weniger als noch 2019 bis 2030) und so sehr deutlich unterstrichen, dass auch die Konzerne ihre Verantwortung für das Weltklima nicht einfach auf Verbraucher:innen und Regierungen abschieben können. Und schon davor hat das Bundesverfassungsgericht hierzulande klar gemacht, dass die im Klimaschutzgesetz festgelegten Reduktionsanstrengungen nicht ausreichen, dass die Bundesregierung das Gesetz und natürlich die davon abgeleiteten Maßnahmen zum Erreichen der Ziele um einiges verschärfen muss. Bemerkenswert ist, dass das Bundesverfassungsgericht dazu erstmals einen intertemporalen Freiheitsbegriff herangezogen hat. Gemeint ist damit, dass unser heutiger Lebensstil die Freiheit jüngerer Generationen gefährdet, da angesichts der aktuell zu geringen Treibhausgasreduzierungen ab 2030 drastisch verschärfte Maßnahmen notwendig würden, um das Deutschland zustehende CO2-Budget gemäß dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten. (Bzw. die ökologischen Schäden bei Nichteinhaltung des Abkommens so drastisch wären, dass sich dies ebenfalls negativ auf rechtsstaatliche Freiheiten auswirkt, aber das Szenario will ich mir gar nicht ausmalen.)

Immerhin hat die Bundesregierung sehr schnell auf das Urteil reagiert und schon zwei Wochen später eine überarbeitete Fassung des Klimaschutzgesetzes ins Parlament gebracht. Das war allerdings auch keine große Kunst, da es erstens nur um Ziele und noch nicht um die darunterliegenden Maßnahmen ging und da zweitens diese Verschärfung der Ziele durch die schon zuvor erfolgte Hochsetzung des europäischen Klimaschutzziels auf -55 (statt -40) Prozent gegenüber 1990 ohnehin nötig geworden wäre.

Was wurde konkret für Deutschland beschlossen? Bis 2030 soll Deutschland nun 65 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990 ausstoßen, statt 55 Prozent zuvor. Klimaneutralität, also praktisch ein Nullausstoß von Treibhausgasen, soll bis 2045 erreicht werden und damit fünf Jahre früher als nach alter Beschlusslage. Und statt wie bisher nur bis 2030 gibt es nun auch in den Jahren danach konkrete Minderungsziele für jedes einzelne Jahr, wobei es speziell auf die einzelnen Sektoren heruntergebrochene Ziele weiterhin nur in der aktuellen Dekade gibt

Diese Sektorenziele sind allerdings durchaus spannend, geben sie doch eine grobe Vorstellung davon, was in den einzelnen Bereichen wirklich passieren muss. Bis 2030 kann man dies also jetzt schon ungefähr absehen – und in diesem Zeitraum von gerade mal neun Jahren (ehrlicherweise sogar nur sieben bis acht, wenn man die Bundestagswahl, die folgende Regierungsbildung und dann die Zeit bis zum Wirksamwerden hoffentlich verschärfter Maßnahmen einrechnet) muss eine ganze Menge passieren. Haupttreiber bleibt die Energiewirtschaft, die aber noch einmal deutlich mehr als ohnehin schon leisten muss: vorgesehen ist eine Reduzierung der Emissionen um über 60 Prozent gegenüber dem Stand des Jahres 2020. Das heißt, es braucht einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren und auch der Kohleausstieg wird zumindest ganz überwiegend bis 2030 abgeschlossen sein müssen. Im Gebäude- und Verkehrsbereich ist die Reduktionserfordernis mit je rund 40 Prozent zwar nicht ganz so groß, aber die Herausforderungen sind in diesen Sektoren angesichts der bisher viel zu geringen Entwicklungen dort sogar eher noch größer. In Summe bedeutet die Novelle des Klimaschutzgesetzes, dass es in sehr vielen Lebensbereichen in sehr kurzer Zeit nun sehr tiefgreifende Umstellungen unserer bisherigen Lebens- und Produktionsweise braucht. Das bedeutet auch sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten für NATURSTROM, aber es braucht natürlich nach den nun beschlossenen Zielen dringend passende Maßnahmen zur Umsetzung seitens der Politik.

Leider ist dabei allerdings bisher nicht besonders viel passiert: Die eigentlich schon bei der Verabschiedung des EEG vereinbarte nachträgliche Erhöhung der Ausbaumengen für Wind- und Solaranlagen ist bis heute nicht verabschiedet – es gab zwar den Minimalkompromiss, dass zumindest 2022 die Auktionsmengen erhöht werden sollen, um alles andere solle sich dann aber eine neue Regierung kümmern. Und selbst diese überschaubare Maßnahme ist noch nicht in Gesetzestext gegossen, was auch langsam angesichts der näherrückenden Wahl knapp wird. Und an eine grundlegende Umgestaltung der Energiemärkte ist erst recht nicht mehr zu denken. Schon die eigentlich auf der Hand liegende Erhöhung der nationalen CO2-Preise für Wärme und Verkehr bekommt die Koalition nicht mehr hin und selbst bei der Verteilung der Kosten des bisherigen CO2-Preises zwischen Mietern und Vermietern gibt es keine Einigung – wobei sich dabei nicht einmal CDU und SPD streiten, sondern die Unionsfraktion sogar die eigenen Minister:innen auflaufen lässt und den im Kabinett gefundenen Kompromiss einer hälftigen Aufteilung verhindert.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Weichen in die richtige Richtung gestellt, wofür wir uns übrigens gemeinsam mit den EWS und Greenpeace Energy auch in einer großflächigen ZEIT-Anzeige bei den Kläger:innen bedankt haben. Und immerhin hat die Bundesregierung schnell darauf reagiert, wenn auch nur mit neuen Zielen. Die Umsetzung obliegt jetzt einer neue Bundesregierung und natürlich den ganzen Energiewende-Macher:innen, die schon seit Jahren in der Praxis mehr Klimaschutz voranbringen.

Es bleibt also sehr sehr viel zu tun, lasst es uns anpacken! ?

 

Ansprechpartner ist Sven Kirrmann

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