Europa spielt Steilpässe, was macht eine neue Bundesregierung draus?

Der politische Rückblick auf die letzten Wochen ist dieses Mal deutlich stärker von Brüssel als von Berlin geprägt, mit dem „Fit for 55“-Paket hat die EU-Kommission ein mächtiges Regelwerk vorgelegt, das den Klimaschutz tatsächlich deutlich nach vorne bringen könnte. Hintergrund des Ganzen sind vor allem die neuen europäischen Klimaschutzziele, die im Frühjahr auf eine Reduzierung der Emissionen von 40 auf 55 Prozent in der Gesamtheit der Mitgliedsstaaten bis 2030 festgelegt wurden. (Übrigens hätte Deutschland allein deshalb seine eigenen Klimaschutzziele auf ungefähr die nun festgelegten -65 Prozent erhöhen müssen, die Selbstbeweihräucherung angesichts der angeblich schnellen Reaktion auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil war also gänzlich unangebracht.) Es müssen also nun in der EU in relativ kurzer Zeit 15 Prozentpunkte mehr bei der Treibhausgasminderung erbracht werden – klar, dass das nur mit entschlossenen politischen Maßnahmen geht. Und man muss sagen, die Kommission hat durchaus geliefert: Das am 14. Juli vorgestellte „Fit for 55“-Paket ist ein umfassendes Paket mit Neuregelungen bzw. Verschärfungen in eigentlich allen klimaschutzrelevanten Politikfeldern, etwa in der Landwirtschaft, im Verkehr und natürlich vor allem im Energiesektor. Maßnahmen umfassen etwa höhere Erneuerbaren- und Effizienzziele, schnellere Verknappungen der Zertifikate im EU-Emissionshandel (was, obschon noch nicht beschlossen, schon jetzt zu den höheren Preisen am CO2– und damit Energiemarkt führt) und auch die Einführung eines zweiten Emissionshandels für Wärme und Verkehr, wie es ihn seit diesem Jahr in Deutschland gibt. Zu den Maßnahmen gehört auch eine Novellierung der Beihilfeleitlinien für die Bereiche Umwelt und Energie, die im Kern sinnvoll sind, aber auch zu verschärften Ausschreibepflichten bzw. sogar zum Ende des EEGs führen könnten.

Alle Maßnahmen im Einzelnen aufzuführen würde den Rahmen hier sprengen, daher seien einfach mal kurz ein paar Beiträge dazu von SZ und Deutschlandfunk verlinkt – wer weitere Fragen oder Diskussionsbedarf dazu hat, kann sich gerne bei mir melden. Auch wenn viele Einzelmaßnahmen an sich eigentlich noch zu wenig sind oder man sich aus Klimaschutzsicht noch mehr Ambitionen gewünscht hat, kann man insgesamt schon sagen, dass die EU zu einem einzelnen Thema noch nie ein solch weitreichendes, vielfältiges und ineinander verschaltetes Reformwerk wie dieses Paket vorgelegt hat. Allerdings war das nun erst der erste Schritt, die Entwürfe der Kommission müssen jetzt – mit Ausnahme der erwähnten Beihilfeleitlinien – erst einmal mit dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten im so genannten Trilog-Verfahren diskutiert werden. Entscheidungen werden frühestens zum Jahresende 2022 erwartet, danach müssen die Regelungen teilweise noch in nationales Recht umgesetzt werden – vor 2024 wird das Ganze also kaum wirksam. Leider haben sich die Mitgliedsstaaten und nicht zuletzt Deutschland in diesen Verhandlungen immer wieder eher bremsend gegenüber ambitionierten Vorschlägen der Kommission hervorgetan. Daher wäre es sehr wichtig, wie Deutschland als größter Mitgliedsstaat diesen Steilpass aus Brüssel aufnimmt und ob die Bundesregierung also mit dazu beiträgt, die Vorlage auch in einen wirklichen Klimaschutzmehrwert zu verwandeln – die baldigen Wahlen und die daraus resultierende Regierungskoalition haben also auch für diese Brüsseler Diskussionen entscheidenden Einfluss.

Apropos: In Berlin ist im Gegensatz zu dem wahren Feuerwerk auf europäischer Ebene zuletzt kaum was in Sachen Energiewende passiert, was natürlich vorrangig dem Wahlkampf geschuldet ist. Immerhin: Hier ist Klimaschutz durchaus als eines der wichtigsten Themen präsent und wird in allen Debatten immer wieder angesprochen. Entscheidend wird aber eben nun, was dann nach der weitgehend verlorenen aktuellen Legislaturperiode eine neue Bundesregierung draus macht. Deshalb auch an dieser Stelle noch einmal der Aufruf: Bitte geht alle wählen! Und denkt dabei gerne auch mit, dass wir nur noch wenige Jahre haben, um unseren Treibhausgasausstoß soweit zu reduzieren, dass die Erderhitzung auf 1,5 oder maximal zwei Grad begrenzt und damit eine existenzbedrohende Klimakrise eingedämmt werden kann. Wie die Parteien das Thema Energie und Klimaschutz angehen wollen und was da am ehesten eurer Haltung entspricht, könnt ihr etwa im Detail bei der Tagesschau nachlesen. Bei der Initiative #wählbar21 können sogar die Positionen einzelner Kandidat:innen mit Blick auf Energiewende und Klimaschutz eingesehen werden. Und über den Klimawahlcheck könnt ihr einen Abgleich eurer eigenen Ansätze mit den Plänen der Parteien vornehmen.

Die Wetterextreme von 2021 in Deutschland und anderswo schon bei aktuellem Erwärmungsstand von ca. plus ein Grad zeigen auf jeden Fall, dass es sich lohnt, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen und sich dafür neben der Arbeit bei NATURSTROM und eventuellen weiteren Engagements auch mit seiner Stimme bei der Wahl einzubringen …

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